Sonntag, 3. Juni 2018

Eine Erfahrung, die viel verändert hat (Teil II)


Als Kind war das tatsächlich das einzige Mal, dass ich so bewusst darüber nachdachte. All die Jahre danach, waren solche Kleinigkeiten einfach nur zufällige Ereignisse, ich maß ihnen nicht allzu viel Bedeutung zu. Erst viel später und aus einem sehr traurigen Anlass, fing die Veränderung in der Sichtweise an.

Meine damals beste Freundin war schwer erkrankt. Sie hatte bereits mit jungen Jahren, noch vor unserer gemeinsamen Ausbildung, eine Lebertransplantation erhalten. Sie hatte das über all die Jahre immer im Blick, lebte ihr Leben aber in vollen Zügen, denn jeder Tag könnte der Letzte sein. Kurz nach Ende unserer Ausbildung wurde sie schwanger. Die Ärzte rieten ihr vehement davon ab, ein Kind zu bekommen, aber eine Abtreibung kam für sie nicht in Frage. Ihre Aussage „Ich weiß, dass ich früh sterben werden, Ani, aber irgendwas möchte ich von mir zurücklassen.“ Diesen Satz werde ich nie vergessen.

Sie bekam das Kind, ein gesundes kleines Mädchen, sie war ihr ganzer Stolz. Dem Mädchen fehlte es an nichts und ich lernte mit ihr sogar kroatisch, aber außer „dosta“ (keine Ahnung ob ich das richtig geschrieben hab), was bedeutet so viel wie „laß das“, weiß ich nicht mehr.

Ein bisschen mehr als ein Jahr später kam sie mit der Kleinen von einem Italien-Urlaub zurück und hatte sich dort eine Grippe eingefangen. Nachdem diese nicht wegging und es ihr zusehends schlechter ging, fuhren wir oft nach München Großhadern zu ihren Ärzten und sie sagten ihr, der Infekt hat sich auf die Leber ausgeweitet. Was genau in den Gesprächen mit den Ärzten besprochen wurde, weiß ich nicht. Aber ich hatte das Gefühl machtlos zu sein und so ging es wohl jedem, der sie in den Wochen danach sah. Ihr ging es immer schlechter, zwischendurch gab es auch mal gute Tage, aber die waren nicht von Dauer. Ihre Haut wurde immer gelber und sie nahm rapide ab. 

Der Situation konnte sie trotzdem etwas Positives abgewinnen, denn endlich passte sie in ihren weißen Overall, denn sie sich schon so lange zu Tragen gewünscht hatte. In den stillen Momenten redeten wir mal mehr mal weniger, aber an eine Situation erinnere ich mich ebenfalls als wäre es gestern gewesen.

„Ani, ich habe keine Angst vorm Sterben oder Tod zu sein, ich habe nur Angst vor den Schmerzen und was ich noch aushalten muss.“ Auch so ein Satz, den ich nie vergessen werde und mittlerweile ist es 15 Jahre her.

Sie erzählte mir auch von der Transplantation und dass sie da bereits kurz tot gewesen war. Sie hatte eine Nahtoderfahrung. Ein guter Freund, der damals bereits verstorben war, hatte sie begrüßt. Er hat ihr gesagt, es sei noch nicht ihre Zeit und er würde ihr gerne noch mehr zeigen, auch von der Zukunft, aber sie soll sich keine Sorgen machen. Sie kam zurück und ich hatte das Glück, diesen tollen Menschen kennen zu lernen.

Diese Geschichte hat mich bewegt, weil sie ehrlich war, das war kein melancholisches Dahinreden, das ist wirklich passiert. Danach sagte sie „Ani, ich komm zu dir und ich werde dir Dinge zeigen, wenn ich drüben bin, dass dir die Ohren schlackern.“

In den letzten Wochen, vor der letzten Fahrt ins Krankenhaus, unternahmen wir noch viel miteinander. Sie wollte nochmal Party machen, tanzen gehen, flirten, Spaß haben. Dann fuhr ich mit ihr das letzte Mal nach Großhadern, ich ließ sie dort, in der Hoffnung sie wieder zu bekommen, aber so sollte es nicht sein.

An einem Sonntag packte ich ihre Schwestern ein und fuhr mit ihnen zusammen hoch, wir freuten uns darauf, sie zu besuchen. Als wir dort waren, war das Bild niederschmetternd – sie lang im Koma, wurde beatmet und hing an einer künstlichen Leber. Ich ging mir einer der Pflegerinnen vor die Tür und fragte, warum sie nicht auf der Transplantliste ganz oben steht und sie sagte mir, eine OP würde sie nicht überleben. In meinem Kopf drehte sich alles „Es lohnt sich nicht oder was soll das heißen?“ dachte ich nur verzweifelt und wusste, ich werde mich verabschieden müssen.

Ich weiß noch, dass ich ihre Hand streichelte. Sie war immer so stolz auf ihre künstlichen Nägel, aber davon war schon lange nichts mehr zu sehen. Die Haut war abgekämpft und ich nahm ihre Hand, versprach ihr auf die Kleine aufzupassen und dass ich auf sie warten werde, dass sie zu mir kommt. Vier Tage später war sie hirntot und am Samstag darauf schalteten sie die Geräte ab.

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