Freitag, 2. November 2018

Ich war es...


Ich habe Bambi getötet. In beinah 20 Jahren seit ich nun Auto fahre, ist es das erste Mal gewesen und ich bin ehrlich schockiert, dass ich so unkontrolliert darauf reagiert habe. Vor allem um das Reh tut es mir von Herzen leid.

Es ist Samstag, ich bin auf dem Weg in die Arbeit und die Stelle an der es passiert ist, ist für Wildwechsel bekannt und ich fahre hier täglich. Besonders bei nebeligen und regnerischen Wetter ist die Gefahr eines Wildwechsels groß, daher fahr ich hier auch äußerst gewissenhaft. Aber weder das Reh noch ich hatten eine Chance, den Zusammenstoß zu verhindern. Mir blieb nur eins, Lenkrad festhalten und voll in die Eisen steigen. Alles andere wäre keine Alternative für den herannahenden Gegenverkehr gewesen. Dann der Aufprall und das Reh schleuderte einige Meter durch die Luft, während ich schon stand und nur hinterher sehen konnte. Als das Reh auf dem Boden lag, kam auch schon der Gegenverkehr. Der Fahrer bremste zunächst und rumpelte aber dann doch mit seinem SUV über das Reh hinweg. Ich sah regelrecht, wie das Genick brach. 

Als ich an die Seite fuhr mit Warnblicklicht an, rechnete ich eigentlich damit, dass gleich jemand zu mir kommen würde, um sich zu erkundigen ob bei mir alles okay ist – aber niemand kam. Der SUV Fahrer fuhr einfach weiter und die Autos, die nachfolgten umfuhren das Reh und setzten ihre Fahrt ungestört fort. Ich saß dann erstmal da, atmete und heulte vor lauter Schreck und weil mir das Reh so leidtat, dann wählte ich den Notruf. 

Respekt für den Herrn an der Line, der mich trotz meines Schluchzens ganz gut verstand. Er stellte mich dann an die örtliche Polizei durch. Währenddessen kam von oben durch den Wald eine ältere Dame, sie hielt an und kam gleich zu mir – Erleichterung machte sich in mir breit, ´es gibt doch noch hilfsbereite Menschen´. Aber ich konnte abwinken, hatte ja jetzt Hilfe am Telefon.

Der Polizist fragte mich, ob bei mir alles okay und wo das Auto beschädigt ist. *Heulschluchz* „Alles gut. Auto hat es vorn erwischt, bin noch nicht ausgestiegen.“ Musste erstmal den Schrecken verdauen. Er holte sich die Infos, die er von mir brauchte und erklärte mir, dass ich mir den Wisch für die Versicherung an der nächsten Polizeidienststelle abholen kann. Wir vereinbarten, dass ich das Reh zur Seite räume, er verständigt den Jäger und ich kann weiterfahren. Einfacher gesagt, als getan – mir schlotterten die Knie und brach immer wieder in Tränen aus.

Als ich ausstieg kümmerte ich mich zuerst um das Reh. Es hatte wohl nur innerliche Verletzungen, denn es war nirgends Blut zu sehen und es muss sofort tot gewesen sein. Die Augen waren offen, blutunterlaufen und jung. Es war noch klein, höchstens so groß wie ein Golden Retriever. Ich packte es am Bein und zog es an den Fahrbahnrand, so damit es der Jäger schnell finden konnte, es war ein Feldweg daneben. Es schüttete in Strömen, aber das bekam ich gar nicht mehr mit. Dann sah ich mir mein Auto an und konnte nicht glauben, dass so ein kleines Reh so viel Schaden anrichten kann. Ich sammelte meine Autoteile von der Straße ein, warf alles in den Kofferraum, setzte mich wieder ins Auto und heulte erst mal wieder drauf los. So konnte ich nicht in die Arbeit fahren und ich drehte über den Feldweg um. Ich war mir noch nicht sicher wo ich hinwollte, erstmal von der Straße runter und Zweihundertmeter später auf einen Parkplatz.

In meinem Kopf kreisten die Gedanken, vor allem auch deshalb, da ich nicht verstand warum mich so etwas so dermaßen fertigmacht. Dann rief ich in der Arbeit an und gab Bescheid, dass ich nicht kommen werde. Respekt auch an diesen Kollegen, dass er mich trotz der Heulerei verstanden hat. Zunächst dachte ich, ich könne vielleicht einfach später kommen, nachdem ich bei der Polizei und in der Werkstatt war, aber ich war völlig durcheinander. Wir entschieden also, ich komme erstmal nicht, kümmere mich um das organisatorische und beruhige mich.

Als ich wieder auf dem Heimweg war, nachdem ich mit Polizei und Werkstatt fertig war, merkte ich wie die Anspannung nachließ und ich bekam Kopf- und Rückenschmerzen. Bin wohl tatsächlich etwas lädiert, durch den Schock habe ich es zunächst nicht wahrgenommen. Hab mich wohl etwas verrissen beim Wildunfall. Das bestätigte am Montag auch der Arzt im Krankenhaus, wohin ich aufgrund des Wegeunfalls und der Schmerzen zwangsläufig gehen musste. Starke Muskelzerrung – Schmerzmittel, Warmhalten und vor allem Ruhe geben.

Man kann mich jetzt für verrückt halten und belächeln, aber ich hatte bereits seit Wochen das Gefühl, dass es einen Unfall geben wird. Wusste nicht, was es sein wird. Wildunfall war jedoch auf Platz Eins meiner Schätzung. Rückblickend betrachtet, bin ich froh, dass es nur ein kleines Reh war. Ein Hirsch oder ein Unfall mit einem anderen Verkehrsteilnehmer hätte böse ausgehen können. Schade nur, dass es bei uns nicht so ist wie in den USA, bei denen das Fleisch eines Wilds bei Unfall an Bedürftige gespendet wird. 

Trotz all dem, bin ich überzeugt davon, dass es irgendeinen Sinn haben musste - das finde ich wohl gerade heraus...

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